Wer darüber schläft, verliert den Moment

In meinem letzten Artikel habe ich eine für viele Entscheider kontroverse These vertreten. Wer im Affekt entscheidet, genießt größere Klarheit und kann auf Verständnis für unpopuläre Entscheidungen hoffen. Das widerspricht natürlich allem, was wir in einem rationalen und aufgeklärten Zeitalter glauben. Die empfundene Klarheit verdanken wir der Ignoranz aller widersprüchlichen Informationen und das Verständnis bekommen wir, weil unser Umfeld uns einräumt, auch nur ein Mensch zu sein. Die offizielle Doktrin ist dagegen: Wenn der Mensch im Affekt nicht vernünftig entscheiden kann, dann soll er eben warten, bis er es kann! Also eine Nacht darüber schlafen.

Das habe ich früher auch geglaubt und ich glaube es noch immer. Allerdings empfehle ich ebenso, die Energie und Klarheit des Affektmoments für seine Entscheidungen zu nutzen. Wenn wir beides miteinander verbinden, macht uns das zu besseren Entscheidern.

Aber wie soll das gehen?

Wenn ich eine Nacht über meine Entscheidung schlafe, dann bin ich zum Entscheidungszeitpunkt wahrscheinlich ausgeglichen. Denn das ist ja der Sinn des Ganzen. Ohne diesen Kniff verarbeiten wir nur Informationen, die unsere Emotion im Affekt unterstützen. Nach dieser Nacht ist der Affekt aber nicht mehr verfügbar. Will ich umgekehrt den Affekt nutzen und gleich entscheiden, verhindert ebendieser eine ausgeglichene Bewertung.

Beides scheint sich auszuschließen. So scheint es. aber nur, weil wir 50 Prozent der Lösung ausblenden. Der Denkfehler liegt darin, dass wir vom Moment des Affekts ausgehen und ab da unseren Gestaltungsraum sehen.

Wie wäre es, wenn wir stattdessen die Zeit davor nutzen?

Anstatt umständlich lange darauf zu warten, bis wir wieder emotional ausgeglichen sind, können wir auch einfach einen ruhigen Moment nehmen und in die Zukunft denken.

Ein Beispiel

Machen wir es konkret: Nehmen wir an, Du planst, mit einem anderen Unternehmer zu kooperieren. Ihr wollt gemeinsam einen neuen Markt erschließen. Natürlich kannst Du die Zukunft nicht vorhersagen. Allerdings können die Ergebnisse unterschiedlich ausfallen. Darüber kannst Du ganz entspannt nachdenken, solange noch keine Fakten geschaffen wurden.

Die Kooperation könnte ein Riesenerfolg sein. Gemeinsam seid Ihr unschlagbar und die Kunden stehen bei Euch Schlange. In dem Fall ist keine Entscheidung nötig. Alles soll so weiter laufen, wie bisher. Was aber, wenn der Erfolg eher mau ist? Oder wenn Du sogar einen Stamm-Kunden verlierst, weil er von dem gemeinsamen Produkt nicht überzeugt ist?

Wenn es nicht läuft, gibt es wahrscheinlich auch keinen Affekt. Du könntest daher auch entscheiden, wenn Du das enttäuschende Ergebnis siehst. Für den Affekt stimmt das zwar, aber dann spielen möglicherweise die sogenannten sunken costs eine Rolle. Du unterliegst dem Eindruck, dass Du weitermachen musst, weil Du schon so viel Geld in den toten Gaul gesteckt hast. Besser ist es, wenn Du Dir vorher die Bedingungen überlegst, ab wann Du dem schlechten Geld nicht noch gutes hinterherwirfst.

Was passiert, wenn die Kooperation schlecht für Deinen Ruf ist und Deine Stammkunden das Weite suchen? Ganz klar: Diese Partnerschaft muss enden! Die Frage ist dann nur wie. Handelt Dein Partner rücksichtslos, dann ist der Affekt Dein bester Freund. Ist Dein Partner dagegen nur unfähig, dann kannst Du auch warten, bis der Ärger verraucht ist. All das entscheidest Du bereits, bevor irgendetwas passiert ist. Deine Entscheidungen sind daher ausgewogen.

Vorratsentscheidungen

Wir treffen also unsere Entscheidungen auf Vorrat für den Zeitpunkt, wenn wir entscheiden müssen und beides brauchen, Affekt und Vernunft. Für die Vernunft sorgen wir im Vorfeld. Der Affekt sorgt dafür, dass wir es auch durchziehen und die Akzeptanz unseres Umfelds haben.

Ich persönlich entscheide so seit Jahren. Nicht selten fällt es mir allerdings schwer, mich an meinen Plan zu halten. Insbesondere wenn Betroffene mich bitten, meine Entscheidung zu überdenken.

Aus Erfahrung muss ich allerdings sagen, dass ich revidierte Entscheidungen in der Regel bereue. Geplante Entscheidungen fallen mir zwar in der Umsetzung hin und wieder schwer. Aber ich habe sie noch nie bereuen müssen.

Trotzdem erlebe ich auch meine unvorbereiteten Affekt-Momente. Ich bin vielleicht zu faul, mit allem zu rechnen. Inzwischen bin ich es nicht mehr gewohnt, mich im Affekt zu bremsen. So fallen dann Entscheidungen, die ich liebend gerne zurückdrehen würde.

Aber wer ist schon perfekt?

Ein Fehler ist kein Fehler

Fehler

Jeder Fehler rächt sich. So ist es. Daher würden wir auch liebend gerne auf sie verzichten. Fehler kosten Zeit, Geld und leider oft auch den guten Ruf. Vor einiger Zeit gab es sogar eine Studie darüber, dass es eine schlechte Idee ist, Fehler zuzugeben.

Ein junger Mann, der später zum posthum verehrten Führer einer neuen Religion aufstieg, fand dafür einen guten Spruch, der auch noch nach 2.000 Jahren Gültigkeit hat: „Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein!“ Er wollte uns daran erinnern, dass wir alle Fehler machen.

Trotzdem bestrafen wir Fehler gerne. Ich frage mich nur: warum? Vielleicht liegt es daran, dass wir so die Lerngeschwindigkeit erhöhen? Wenn wir wissen, dass ein Fehler unsere Karriere ruinieren kann, sind wir vielleicht vorsichtiger. Oder wir gehen kein Risiko ein. Beides begrenzt uns und kostet uns Gestaltungsmacht.

Es ist einfach, einen anderen zu verdammen. Besonders dann, wenn das Ergebnis eigentlich hätte klar sein können. Nehmen wir zum Beispiel Karl-Theodor zu Guttenberg. Der Freiherr hätte damit rechnen können, dass seine Doktorarbeit ihn irgendwann einmal ins Verderben stürzt. Als es dann passierte, macht er sich vor der versammelten Presse zum Lügenkasper. Hätte er doch gleich wissen können, dass das nicht gut geht.

Schummeln ist allerdings an der Tagesordnung. Schüler und Studenten haben Spickzettel, sie schreiben aus dem Internet ab, später wird bei der Steuererklärung geschummelt und die Putzfrau kratzt aus reiner Nächstenliebe den Harnstein vom Klo ab.

Trotzdem werfen wir brav unseren Stein. Warum auch nicht? Indem wir den einen Erwischten bestrafen, läutern wir uns selbst. Was würde eigentlich passieren, wenn wir solche Fehler nicht bestraften?

  1. Die Medien wären pleite. Schließlich steigert nichts so sehr Auflagen und Leserschaft, wie ein guter Skandal.
  2. Wir hätten mehr Politiker. Mit ein Grund, warum das politische Führungspersonal so ausgedünnt ist, ist unsere Unnachgiebigkeit gegenüber individuellen Verfehlungen.
  3. Angestachelt von den schlechten politischen Vorbildern, würden wir uns vielleicht auch trauen, mehr Fehler zu machen.
  4. Möglicherweise hätten wir eine durch und durch unmoralische Gesellschaft. Was wäre gleich der Unterschied gegenüber heute? Ach so ja, wir sind ja heute alle Musterschüler.
  5. Wir würden uns mehr um unseren eigenen Kram kümmern.

Eine Fehlerkultur

Wenn Unternehmen sich dazu entschließen, Fehler als Teil der Ausbildung zu tolerieren, nennt sich das „Fehlerkultur“. Damit ist auch klar, wovon wie hier sprechen. Kultur ist das Feigenblatt, dass sich unsere Gesellschaft schamhaft zwischen die Beine steckt, wenn der Kommerz mal wieder zu schamlos wird. Oder anders gesagt: Wenn wir Kultur und Kommerz gegeneinander abwägen, verliert daher immer die Kultur. Hat ein Unternehmen eine „Fehlerkultur“, dann gibt es garantiert eine Kostengrenze, die einen „Fehler mit Kultur“ von einem „unverzeihlichen Fehler“ trennt.

Genau deshalb klingt eine „Fehlerkultur“ zwar gut, aber sie bewirkt nichts. Denn niemand macht absichtlich Fehler. Wie könnten wir dann den finanziellen Schaden eines Fehlers begrenzen? Zumal die meisten Entscheidungsfehler bei der Risikoeinschätzung gemacht werden.

Fehler sind dazu da, dass wir daraus lernen. Manchmal lernen wir, dass wir mit einer Lüge nicht davon kommen. Meistens haben wir aber einfach nicht bedacht, was alles schief gehen kann. Wer mit älteren (erfahrenen) Menschen spricht, erfährt viel darüber, was sie nicht wollen. Da spricht die Erfahrung. Während unsere Vorstellungskraft große Visionen entwirft, bewahren unsere Erfahrungen uns davor, vergangene Fehler zu wiederholen.

Ich denke, wir müssen uns klar machen, welche Fehler wir tolerieren wollen und welche nicht. Ein Preisschild kann nicht das richtige Kriterium sein. Manche Fehler verstoßen gegen Gesetze, weil andere Menschen zu Schaden kommen. Die Strafe ist dann richtig. Allerdings sollten wir nach verbüßter Strafe nach vorne sehen. Straftäter sind die, die nicht erwischt wurden. Aus dem Gefängnis Entlassene sind Büßer, die zumindest eine zweite Chance verdienen.

Wer heute im Geschäftsleben einen Fehler macht und alles dafür tut, um ihn ungeschehen zu machen, hat zumindest etwas dazu gelernt. Warum also sollte man ihn dann dafür bestrafen?

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Gestaltungsmacht

Meine persönliche Gestaltungsmacht

kraft gestaltungsmacht

Über Gestaltungsmacht muss man nicht nachdenken. Zumindest solange nicht, wie wir nicht an unsere persönlichen Grenzen stoßen. Anders sieht es aus, wenn wir das Gefühl haben, nichts zu bewegen. Die traurigste Frage, die sich dann so mancher stellt ist, „macht es überhaupt einen Unterschied, ob ich da bin?“ Mal von allen Einwänden der Germanisten abgesehen, ob wir im Deutschen einen Unterschied „machen“ können, sollte sich diese Frage niemand stellen müssen.

Denn jeder Mensch hat Gestaltungsmacht. Unsere persönliche Gestaltungsmacht ist nichts anderes als Zeit. Die Ausgangslage ist für alle gleich. Jeder hat 24 Stunden pro Tag. Warum fühlen wir uns dann manchmal so machtlos? Die einen sind so sehr eingespannt in ihre täglichen Zwänge, dass sie einfach keine Zeit mehr zur Verfügung haben. Die anderen wissen nicht, wie sie ihre Zeit einsetzen müssen, um etwas zu bewegen. Die Ursache dafür ist die gleiche: Die Qualität unserer Zeit.

Wir haben Erfahrung, Kompetenz, Informationen und wir sind kreativ. Damit bekommt unsere Zeit Qualität. Fehler kosten Zeit, weil wir sie in das Falsche investieren und weil wir unsere Fehler wieder gut machen müssen. Haben wir bereits das Know-How, wie man zum Beispiel eine Online-Konferenz organisiert, kostet uns das nicht viel Zeit, während ein anderer für sein Learning-by-doing mit der gleichen Aufgabe einen halben Tag verplempert. Wenn wir das Rad noch einmal neu erfinden, fehlen uns die richtigen Informationen. Auch das kostet Zeit. Wer kreativ ist, findet vielleicht die eine oder andere Abkürzung, um schneller ans Ziel zu gelangen. Aber warum kreativ sein, wenn wir alles so machen, wie wir das schon immer gemacht haben?

Potenziell haben wir also jede Menge Gestaltungsmacht. Wir haben 24 Stunden pro Tag, wir haben Erfahrungen gesammelt, wir haben uns Kompetenzen erworben, wir sind informiert und wie sind qua Natur kreativ.

Aber das gilt nur für einen schmalen Bereich. Schauen wir uns doch einmal den Extremfall an: Frank ist ein großartiger Buchhalter. Dort hat er all das, was seine persönliche Gestaltungsmacht auszeichnet. Aus einer Laune heraus beauftragt ihn sein Chef mit dem Vertrieb eines neuen Produkts. Was passiert? Nicht viel! Frank fehlt die Gestaltungsmacht. All die Zeit, die er für seine Aufgabe bekommt, wird ihm nichts helfen.

Er kann natürlich versuchen, Erfahrungen zu sammeln, Kompetenz in Seminaren zu erwerben, Informationen zu sammeln und sogar kreative Formen der Ansprache zu entwickeln. Dann ist er zwar beschäftigt, aber er bewegt trotzdem nichts. Frank mag ein Gott in Sachen Buchhaltung sein, aber als Verkäufer ist er ein Niemand.

Dabei haben wir noch nicht einmal das Thema natürlicher Begabungen gestreift.

Zum Glück müssen Buchalter selten auf Vertriebsberater umsatteln und umgekehrt. Trotzdem kann uns die Idee der persönlichen Gestaltungsmacht zum Nachdenken bringen.

Ihr persönliches Gestaltungsmacht-Quiz

  • Kennen Sie wirklich alle Fehler, die man bei Ihren aktuellen Aufgaben machen kann?
  • Ist Learning-by-doing bei Ihnen eher häufig oder eher selten?
  • Stellen Sie nachträglich oft fest, dass Sie Ihre Probleme hätten einfacher lösen können?
  • Wann haben Sie das letzte Mal eine völlig neue Lösung gefunden und damit viel Zeit gespart?

Ein kleiner Gedankenanstoß: Fragen Sie bei nächster Gelegenheit erfahrene Kollegen nach den Fehlern, die Sie vermeiden sollten. Holen Sie sich beim Learning-by-doing gleich einen kompetenten Kollegen dazu. Fragen Sie bei jeder Gelegenheit nach aktuellen Lösungen in Ihrem Aufgabenbereich, auch wenn Sie glauben, alles zu wissen. Sprechen Sie auch mit Menschen, die Ihrer Denkweise fremd sind. Das ist zwar anstrengend, aber wer seine bisherigen Denkbahnen verlassen möchte, braucht Menschen, die außerhalb davon denken.