Deine Geschichte ist nicht langweilig … außer bei Facebook

facebook langeweileViele meiner Facebook-„Freunde“ sind selbständige Unternehmer. Natürlich machen sie PR für ihr Geschäft. In ihren Updates ist die Welt in Ordnung. Ein Auftrag jagt den anderen. Das größte Ärgernis ist ein verpasster Flug oder es gibt keine Croissants mehr in der Senator-Lounge. Kunden schreiben ein liebevolles Feedback nach dem anderen. Ist das keine gute PR?

Auf der einen Seite denkst Du Dir: Wow! Toll! Der lebt ja wirklich seinen Traum. Auf der anderen Seite bin ich gelangweilt. Eigentlich habe ich mir nie viel dabei gedacht. Wie im realen Leben gibt es eben langweilige und interessante Freunde.

Dann kam mir ein Gedanke, der mich inzwischen nicht mehr los lässt.

In Facebook und anderen sozialen Medien teilen wir mit anderen unsere Geschichte. Der Begriff „Update“ klingt harmlos. Tatsächlich fügen wir unserer eigenen Geschichte jedes Mal eine neue Szene hinzu. Was Geschichten allerdings spannend und interessant macht, ist über Jahrtausende Menschheitsgeschichte erforscht und erprobt. In Facebook ist das nicht anders.

Spannend in jeder Geschichte und bei Facebook

Der Held einer Geschichte verändert sich in ihrem Verlauf. Wann haben Sie das letzte Mal ein Buch gelesen, in dem der Held am Anfang genauso war, wie am Ende? Genau! Nie! Denn so ein Buch würde kein Verlag veröffentlichen. Es wäre einfach zu öde! Gute Lektoren achten sogar bei jeder einzelnen Szene darauf, ob sich durch sie etwas in der Geschichte verändert oder nicht. Falls nicht, fällt die Szene dem Rotstift zum Opfer.

Wie war das noch gleich mit dem Update vom Frühstückscroissant?

Statusupdates sind Szenen aus unserem Leben. Sind es die verändernden, definierenden Momente oder einfach etwas, was wir morgen schon wieder vergessen haben?

Ich brauche ein Problem und Facebook auch

In jeder Geschichte gibt es ein Problem, das der Held lösen muss. Wenn wir ehrlich sind, hat jeder von uns Probleme. Aber möchten wir wirklich darüber in Facebook schreiben? Wahrscheinlich nicht. Aber unsere Leser erwarten das. Denn Geschichten ohne Problem sind es nicht wert, erzählt zu werden.

Ein Problem ist erst dann ein spannendes Problem, wenn es Hindernisse gibt, die wir überwinden müssen. So große Hindernisse, dass wir an ihnen reifen. Denn der Leser hat einen guten Riecher dafür, wer es wert ist, ein Problem zu lösen und wer nicht. Ein Held, der Tragödien und persönliche Niederlagen erlebt und daraus lernt, hat es mehr verdient, als einer, der sich 5 Minuten hinsetzt und dann die perfekte Lösung in der Hand hält. So viel also zu den Wundertätern unter den Beratern und Coaches, die natürlich immer sofort eine Lösung parat haben. Das ist einfach nur langweilig! Die Realität ist doch, dass nicht jeder Rat sofort sitzt und es manchmal sogar zu heißen Diskussionen kommt, bis wir uns ganz am Ende vielleicht wieder lieb haben

Friede, Freude Eierkuchen – das ist langweilig auch bei Facebook

Das bringt uns zum wichtigsten Spannungselement einer jeden Geschichte: Der Konflikt. Wir selbst erleben ständig Konflikte. Wie kann es da sein, dass manche ihr Facebook-Leben in Auenland verbringen? Klassische Geschichtenerzähler kennen drei Konflikte. (1) Der Streit mit einem oder mehreren Gegenspielern. Schreiben wir darüber, geht in den Kommentaren regelmäßig die Post ab. Das Gleiche passiert beim (2) inneren Konflikt. Äußern wir Selbstzweifel, ob wir der Richtige für den Job sind, mag das nicht unbedingt gut für die Auftragslage sein. Aber ganz sicher nimmt unsere Facebookgemeinde daran Anteil. Das bringt uns zum (3) Konflikt mit der Gesellschaft. Bei den ersten beiden Konfliktarten zeigen unsere Freunde Mitgefühl. Aber wenn wir über ungerechte Gerichtsurteile, Abmahnungen, über Behördenwillkür usw. schreiben, gibt es kein Halten mehr. Denn als Leser sehen wir Relevanz für uns selbst. Die Streiks bei der Bahn und Lufthansa sind die besten Beispiele dafür. Wenn ich sage, dass ich durch Facebook weiß, dass meine Facebook-Freunde nicht gut auf Lufthansa und Bahn zu sprechen sind, ist das die Untertreibung des Jahres. Tagelang drehte sich Facebook um nichts anderes mehr.

Die tragische AIDA-Oper

Geschichten brauchen Kontraste. Meistens entstehen sie von selbst durch unsere Probleme und Konflikte. Wenn wir Kontraste, wie Gut und Böse, Begeisterung und Depression oder reich und arm benutzen, helfen wir dem Leser, uns besser zu verstehen. Sehen wir im realen Leben ein Bild ohne Kontrast, wirkt es flau, langweilig. Für Unternehmer auf Facebook ist das ein Problem. Denn natürlich wollen wir nicht durch kontroverse Kommentare und Updates zukünftige Kunden abschrecken. Also geben wir gerne den Ausgleichenden, den Weichgespülten, der nicht nur schwarz und weiß kennt, sondern auch einige Grauschattierungen (auf keinen Fall 50!).

Die Werbebranche hat ein Akronym, das in diesem Fall erbarmungslos zuschlägt: AIDA = Attention, Interest, Desire, Action

Langweilige bekommen keine Aufmerksamkeit, niemand interessiert sich für sie, niemand begehrt sie oder ihre Produkte und aktiv wird nach dieser Kette von Unfähigkeit auch keiner.

Mit anderen Worten: Lieber gar nicht kommentieren, als langweilig sein. Wer das sehr gut erkannt hat, ist der Trainer und Souveränitätsexperte Stéphane Etrillard. Ich mag mich nicht mit jedem seiner Updates identifizieren können, aber genau das ist ja der Punkt. Er schreibt ohne jede Rücksicht auf Verluste. Einige seiner „Freunde“ haben ihn dafür kritisiert. Das ist legitim. Aber wollen wir allen Ernstes jemanden dafür kritisieren, dass er nicht langweilig ist?

Auf Facebook bin ich langweilig

Wenn ich unter diesen Gesichtspunkten meine Facebooktimeline ansehe, bin ich ziemlich langweilig. In Zukunft werde ich mehr über meine Probleme und Tragödien schreiben, keinen Mantel des Schweigens über meine Konflikte decken und auch das eine oder andere Kontroverse ansprechen. Denn Langeweile ist keine Lösung.

3 Kommentare
  1. Oliver Marquardt
    Oliver Marquardt sagte:

    Ja, Facebook ist eine Medium zur emotionalen Interaktion. Entsprechend werden vor allem authentische, humorvolle oder dramatische Inhalte geschätzt. Das ist für Unternehmen nicht immer einfach. Manche Produkte und Unternehmen lassen sich schwerer emotional aufladen als andere. Paradebeispiel sind Gadgets und Autos. Insofern muss jeder überlegen, was für ihn Sinn macht. Die potentiell hohe Reichweite von Facebook ist nämlich total relativ 😉

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